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Larissa Kleinmann: "Wettkämpfe haben mir nie Spaß gemacht!"

 

Manchmal sagen Spitznamen schon sehr viel über einen Menschen aus. Larissa Kleinmann aus Schmiden bei Stuttgart ist ein solcher Mensch, ist ein solcher Mensch bei dem diese Namen schon sehr viel erzählen. Ob Lilli, Lilli-Hammer, The Hammer, Miss Silli Lilli, Crazy Germerican,  Crazy Germerikenyan, Pokahontas, Schnitzel Light oder Well Done, all diese Namen erzählen etwas über Larissa Kleinmann. So vielfältig, so kreativ, so unabhängig und im positiven Sinne auch so verrückt. Und wenn man Larissa Kleinmann zuhört wird einem ihr Tatendrang und ihr Enthusiasmus schnell klar, man kann sich vorstellen wie es damals gewesen sein muss. Damals im Alter von vier Jahren, als Larissa Kleinmann ihre ersten Lauferfahrungen sammelte. Diese Geschichte erzählt sie gerne, denn sie weiß, dass diese so sehr zu ihrem Leben passt. 

>Der Weg zum Laufsport

"Mit vier habe ich immer Fernsehen gekuckt. Da hatte mein Vater Angst, dass ich unsportlich werde. Er war ja selbst Läufer. Also hat er mir eines Tages gesagt: Du darfst nur noch fernsehen, wenn du in den Werbepausen einmal ums Haus rennst. Dann bin ich eben in den Werbepausen immer ums Haus gerannt." Larissa Kleinmanns ersten Lauferfahrungen waren mehr Mittel zum Zweck als das sie wirklich aus Freude und Spaß entstanden sind.  Doch das Talent hatte sie und gepaart mit viel Disziplin ließ es sie zu eine der erfolgreichsten Jugendläuferinnen Deutschlands werden. Mit insgesamt sieben Deutschen Meistertiteln, einem Europameistertitel mit der Mannschaft im Crosslauf und noch weit mehr Erfolgen galt sie als sehr große Hoffnung für den Aktivenbereich. 

>Auf  nach Boston...

Auch die Bosten University in den USA wurde auf die junge Läuferin des VfL Waiblingen aufmerksam. Und schnell zeigte sich, dass Larissa Kleinmann viel Abenteuerlust und Neugierde mitbrachte. "Ich wollte das unbedingt machen, ich bin einfach ein weltoffener Typ und Fremdsprachen mag ich sowieso gern." 1998, nach dem Abitur, brach Larissa Kleinmann dann zu einer Reise auf, von der sie nie geahnt hatte, was diese für ihr weiteres Leben bedeuteten sollte. "Das Stipendium war für ein Jahr und  danach war für mich erst mal klar, dass ich wieder nach Deutschland zurückkehre. Ich hab' das Studium auch nicht ernst genommen - Physiotherapie hab ich dort studiert. Mir ging es vielmehr darum ein neues Land kennenzulernen und die Sprache richtig zu lernen." Natürlich wollte Larissa Kleinmann weit mehr, sie wollte auch im Laufsport weiterkommen. 

>Das Studium in Arkansas

"Mir hat das dort so gut gefallen, dass ich mir irgendwann gesagt habe: Ich will dort länger bleiben." Doch nicht in Boston, Larissa Kleinmann wollte in ein stärkeres Team. "Ich war einmal in Arkansas zu Besuch. Die haben dort das  so ziemlich beste Frauenteam in den USA." Für ihr restliches Studium sollte Larissa Kleinmann die University in Arkansas nicht mehr verlassen. Sie gewann sowohl mit dem Team als auch im Einzel fast alles was es zu gewinnen gab.  (mehr dazu hier) Dazu stellte sie 1999 und 2000 mit 9:16 und 9:11 Minuten zwei Württembergische Rekorde über 3000m auf. Und nach langem Warten war Larissa Kleinmann auch eine der ersten, die sich auf die 3000m Hindernis spezialisierte. Bis heute wäre sie mit ihre Zeit von 10:01,32 Minuten aus dem Jahr 2001 in Deutschland Spitze. 

>Schluss mit Laufen

Im Jahr 2002 schloss die ehrgeizige Läuferin ihr Studium Marketing Management und Spanisch mit dem Bachelortitel ab. Und 2002 war auch das Jahr, das die sportliche Laufbahn von Larissa Kleinmann in erheblichem Maße verändern sollte. "Ich hatte einfach die Schnauze voll. Der Laufsport hat mir zwar so viel eröffnet. Ich bin dadurch in die USA gekommen. Dazu das Soziale, die Freundschaften die mir soviel daran bedeutet haben. Aber aus sportlicher Sicht wollte ich einfach nicht mehr." Larissa Kleinmann erkannte, dass sich der ganze Aufwand nicht mehr lohnte. "Ich hab' mir eine Liste gemacht und alle Vorteile und Nachteile zum Laufen als Leistungssport aufgeschrieben. Und da kamen eben ein paar mehr negative Punkte raus. Meine Motivation war eigentlich immer das Umfeld, die internationalen Meisterschaften und die Möglichkeit Leute kennenzulernen." Das passt zu Larissa Kleinmann, denn durch das Laufen konnte sie immer ihre Abenteuerlust ausleben. "Ich hab' nichts bereut", betont sie immer wieder. Als Hobbyjoggerin blieb Larissa Kleinmann aber dennoch dem Laufen treu. "Da ich ja immer noch über ein Stipendium studierte hab' ich mit meinem Coach gesprochen. Der ließ mich das Jahr noch im Team, doch das letzte Jahr meines Masterstudiums, das ich drangehängt habe, musste eben mein Vater finanzieren. In der Zeit hab' ich mich dann auch voll aufs Studium konzentriert und wollte das durchziehen." 

>Das Angebot aus New York

Ein Jahr später, 2003,  schien ein verlockendes Angebot vom New York Marathon die Läuferin doch noch einmal umstimmen zu können. "Ja, ich erhielt eine Einladung ob ich den Marathon nicht noch einmal ernsthaft laufen will."  Bereits mit 18 Jahren war Larissa Kleinmann den New York Marathon gelaufen. "Ich bin auch schon den Swiss Alpine Marathon gelaufen." Lange Strecken lief Larissa Kleinmann schon weitaus früher wie die meisten anderen. "Die Dauerläufe und der Marathon. Das war eigentlich das, was mir wirklich Spaß gemacht hat. Wettkämpfe oder harte Bahneinheiten waren für mich immer das Schlimmste. Das hat mir nie Spaß gemacht."

"Ich habe die Herausforderung angenommen und bin wieder intensiver ins Training eingestiegen." Doch Larissa Kleinmann musste schnell feststellen, dass ihr Körper nicht alles mitmachte was sie wollte. Wie schon die Jahre zuvor verletzte sie sich. Und Larissa Kleinmann wäre nicht Larissa Kleinmann würde es für sie nicht weitergehen. "Ich hab' dann einfach mal das Radfahren als Alternative genommen. Als ich wieder in Deutschland war bin ich gleich zu einer Tour durch den Schwarzwald und das Elsass aufgebrochen. " Gerne beeindruckt die heute 26-jährige, gerne erzählt sie von den Extremen die sie erlebt hat. Sie fuhr an diesem Tag 192 Kilometer in einem 27er Schnitt. Wer schon einmal 100km gefahren ist wird sich annähernd vorstellen können was das bedeutet. "Das hat richtig Lust auf weiteres gemacht. Ich bin später Schweizer Pässe gefahren und hatte richtig Spaß daran." Doch nach 2 Monaten Laufpause wollte sie sich weiter auf den Marathon vorbereiten. "Das reichte dann natürlich  nicht mehr für den Elitelauf, also hab' ich mit dem Renndirektor abgemacht, dass ich den Masselauf mitmache und für den NYC-Road-Runner-Club  arbeite. Das war wunderbar, da ich alles bezahlt bekam." Der Ehrgeiz von Larissa Kleinmann schien aber immer noch zu brennen. "Ich nahm mir vor 2004 dann beim Eliterennen dabei zu sein." Doch wieder machte ihr Körper nicht mit. "Durch einen Nike Prototyp Laufschuh, den ich testete,  verletzte ich mich und fing mir auch noch einen Virus ein, wegen dem ich Halloween im Krankenhaus verbringen musste. Seitdem bin ich Laufinvalide. Selbst eine Operation brachte nichts." Damit war das Kapitel Laufsport für Larissa Kleinmann endgültig geschlossen. Selbst heute sagt sie noch: "Seit über zwei Jahren bin ich so gut wie gar nicht gelaufen, weil es einfach nicht geht. Es treten sofort Fersenschmerzen auf."

>Ein Semester in Toulouse -  oder: Der endgültige Schritt zum Radsport

Nach vier Jahren in den USA wollte Larissa Kleinmann etwas Neues erleben. "Anfang 2004 bin ich als Austauschstudentin an die Business School nach Toulouse gewechselt." Und schon da deutete sich an, dass Larissa Kleinmann Lust am Radfahren gefunden hatte. "Ich hab mein Rad nach Frankreich mitgenommen."  Bei der Suche nach einem Verein stieß Larissa Kleinmann auf die 6-fache Weltmeisterin im Bahnradfahren Marion Clignet. Die erfahrene Französin sollte die wichtigste Person für die Radfahrerin Larissa Kleinmann werden. "Ich war sehr beeindruckt von ihr und bis heute ist es wohl die Person vor der ich am meisten Respekt habe. Sie hat so viel Erfahrung und ich kann sehr viel von ihr lernen." 

Es entspricht nicht dem Naturell von Larissa Kleinmann eine Sache halbherzig zu machen. Auch schon im Laufsport pflegte sie das Motto: Ganz oder gar nicht. "Das Radfahren machte mir Spaß und ich bin der Überzeugung, dass man sein Potential nicht ausschöpfen kann, wenn es keinen Spaß macht. Das war ja auch ein Grund warum ich mit dem Laufen aufgehört habe." Im Juli 2004 war für Larissa Kleinmann dann klar, dass sie es probieren will. Nach ihrem Master-Abschluss im September 2004 konzentrierte sie sich voll auf den Radsport.  Eine Sportart die sich weit mehr vom Laufsport unterscheidet als man denken mag:

>Lauftraining und Radtraining - ein Vergleich

"Das Radtraining ist natürlich viel aufwändiger. In der Vorbereitungsphase im Herbst und Winter sitze ich jeden Tag zwei bis sieben Stunden auf dem Rad. Die Intensität ist geringer, aber beim Radfahren macht es eben die Länge der Einheiten. Zudem ist Radfahren zu 50 Prozent Kraftsport und zu 50 Prozent Ausdauersport. Ich mache vier Mal die Woche Krafttraining." Der Temposchnitt ihrer Trainingsfahrten liegt meist zwischen 25 und 29km/h. Im Trainingslager, wenn auch mal mit den Männern mitgefahren wird kann es auch mal ein 30 bis 32er Schnitt sein. "Am Anfang bin ich auch alleine nie unter einem 30er Schnitt gefahren, weil ich es als Läuferin gewohnt war immer von Anfang an Druck zu geben." Auch spezielle Tempoeinheiten stehen auf dem Trainingsplan. "Zum Beispiel in einem hohen Gang und 50 bis 70 Umdrehungen pro Minute einen Berg hoch oder auch Aquajogging. Ich glaube, dass das mehr die Pedalumdrehung simuliert als den Laufschritt."

Larissa Kleinmann erzählt sehr viel und sehr offen über ihren neuen Sport, es sprudelt richtig aus ihr heraus. "Auch die Mentalität ist eine ganz andere. Man unterhält sich im Rennen, alles ist lockerer." Man merkt, dass Larissa Kleinmann sich sehr schnell in die Trainingsmethoden eingearbeitet hat. Viel hat sie durch Marion Clignet erfahren, viel auch durch andere Radsportlerinnen. "Das gleichmäßige Tempo ist im Rennen nicht das Problem. Worauf es ankommt und wodurch man Rennen gewinnt sind die Attacken, die Fähigkeit immer wieder in den roten Bereich zu fahren und sich wieder zu erholen." Larissa Kleinmann möchte zeigen, möchte verdeutlichen, dass das Radfahren einfach nicht mit dem Laufen zu vergleichen ist. "Hier ein Beispiel für die Belastung bei der 3000m Einerverfolgung , bei der man alles aus sich herausquetschen muss. Das ist etwas ganz andere als wie man es in der Leichtathletik kennt. So etwas gibt es dort  in keiner Disziplin.
Der stehende Start. Dort wird, im Fall der Frauen auf internationalem Niveau, die Maschine von 0 auf ca. 53 km/h innerhalb von nur 120 Meter beschleunigt. Das geschieht mit einem starren Gang und der Hälfte der Distanz in einer engen Kurve in schräger Lage. Das sind Kräfte, die man aufbringen muss, die sind nicht mit dem Laufen oder Sprinten in der Leichtathletik vergleichbar. Da braucht man schon Schmackes! Und eines der Geheimnisse, die Kunst der Einerverfolgung ist eben, diesen stehenden Start zu kompensieren und trotzdem noch 3000m volle Kanne weiterfahren zu können. Übersäuerung und Kraft pur vom ersten bis zum letzten Zentimeter. Dazu Schnelligkeit mit Pedalumdrehungen zwischen 110 und 130 U/min.
Im Training, zum Beispiel, konnte ich nie mehr als drei stehende Starts auf der Bahn in einer Session trainieren, weil ich danach komplett fertig war. Juiced out.
Die Einerverfolgung ist ein absoluter Perfektionistensport. Jeder kleine Fehler macht sich unglaublich bemerkbar in der Endzeit. Da muss man wirklich alles richtig machen und man kann so viel falsch machen. Die Einerverfolgung ist absolut faszinierend, das absolut Beste überhaupt! Wie Sarah Ulmer mir so schön und unglaublich treffend sagte: The pursuit is PURE."

"Da fehlt mir noch die Disziplin." sagt Larissa Kleinmann zu ihrer Ernährung.  "Ich esse viel Kuchen und Eis, aber zum Glück nehme ich durch meine Erbanlagen nicht zu. Ich kann mich wohl erst zu einer disziplinierten Ernährung zwingen, wenn es um eine Medaille bei einer Weltmeisterschaft oder den Olympischen Spielen geht." Larissa Kleinmann lacht dabei, sie hat gelernt, dass Lockerheit einen manchmal weiter bringt.

>Qualifikation für die Weltmeisterschaft

Die Erfolge stellten sich auch im Radsport schnell ein. Mit Platz drei beim Weltcup in Manchester Ende 2005 qualifizierte sich Larissa Kleinmann  für die Bahnradweltmeisterschaft. Mit nur sechs Trainingseinheiten auf einer Radbahn fuhr die Athletin des Team Stuttgart in England eine Zeit von 3:43 Minuten über die 3000m Strecke. "Da war ich schon sehr zufrieden, bei der WM will ich aber unter 3:40 Minuten fahren. Denn alles über 3:40 ist Kindergarten." Um diese Zeiten einordnen zu können muss man wissen, dass es bisher nur drei Deutsche Frauen geschafft haben unter  3:40 Minuten zu bleiben.  Der Weltrekord lag bis 2004 noch bei 3:30 Minuten bevor Sarah Ulmer aus Neuseeland diesen bei den Olympischen Spielen 2004 auf sagenhafte 3:24 Minuten verbesserte. "Das war ein Quantensprung, aber in Athen war auch alles perfekt. Für den WM Titel wird eine Zeit von 3:35 Minuten reichen." Momentan bereitet sich Larissa Kleinmann mit ein paar Fahrerinnen des Neuseeländischen Nationalteams in deren Heimat vor. Und auch das war schon immer eine Einstellung der Larissa Kleinmann: Man muss mit den Besten trainieren, wenn man weiterkommen will. Larissa Kleinmann trainiert in Neuseeland mit der Weltrekordhalterin Sarah Ulmer. Danach will sie in Australien ein paar Rundfahrten bestreiten um im April optimal vorbereitet bei der WM am Start stehen zu können.

>Ein Blick in die Zukunft

Momentan gilt Larissa Kleinmann laut Athletenpass noch als Amateur, doch sie lebt und trainiert wie ein Profi. "Das ist im Radsport ein großes Problem, da können nur die allerbesten Frauen davon leben. Die Frauen verdienen da ungefähr ein vierzigstel von den Männern. Für einen Etappensieg beim Giro d'Italia bekommt ein Mann 8000 Euro, eine Frau 200 Euro." Mittlerweile ist Larissa Kleinmann im Top-Team-Peking-Kader, wird vom OSP Stuttgart, der Sporthilfe und ihrem Verein, dem Team Stuttgart, unterstützt. "Da fließt nicht das große Geld, aber zumindest die Spesen sind teilweise gedeckt." Bis zu den Olympischen Spielen 2008 in Peking will sie auf jeden Fall weitermachen. "Und wenn ich danach vom Radsport leben kann mach' ich das auch weiter."

Larissa Kleinmann hat den Schritt zu einem neuen Sport geschafft. Ein Sport der wieder neuen Ehrgeiz in ihr geweckt hat. Ein Sport der zwei ganz entscheidende Elemente in ihrem Leben unterstützt: Reisen und Menschen kennenlernen. Das lebt sie, das sind zwei ganz wichtige Pfeiler in ihrem Leben. "You learn more from travelling than any class room can teach you!" sagt sie und bringt damit nur eine ihrer Philosophien zum Ausdruck. Larissa Kleinmann ist ein Mensch der nach solchen Philosophien lebt, ein Mensch der solche Lebensweisheiten als bedeutende Wegweißer im Leben sieht.
Man kann Larissa Kleinmann nicht festhalten. Früher zu Fuß radelt sie jetzt mit dem Fahrrad um die Welt. Ja, man kann sagen: Larissa Kleinmann ist auf der ganzen Welt zu Hause.

Stefan Faiß (13./14.02.2006) | Kontakt |

 

>Anmerkungen:

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