Christina Mohr: "Man muss diese Welt in ein positive Licht rücken und an ihr gefallen haben!“
"Was
ich von Deutschland aus nicht kannte war diese Gemeinschaft, dieses große
Zusammenhalten im Team. Für das Team haben wir alles gegeben. Für das Team
haben wir bis zum Umfallen gekämpft. Auch diese Gewissheit, dass um drei Uhr
mittags stets eine Gruppe auf dich wartet, um sich mit dir zu quälen, war
unendlich wichtig. Denn nicht ein Tag verging, an dem wir alleine durch die
„Nachbarschaft“ liefen. Die Laufgruppe gab mir Motivation; und den Spaß.
Denn was ich in Deutschland ein wenig vermisste, wurde mir in Amerika voll und
ganz erfüllt: das gemeinsame Training. Und schnatternde Mädels haben dabei
doch schon eine ganze Menge Spaß. Klar war es zunächst umso gewöhnungsbedürftiger,
hier daheim meist wieder alleine durch die Wälder zu flitzen. Für all die
Trainingseinheiten, die wir zusammen überstanden, wurde wir, und nicht nur die
Läufergruppe, sondern das komplette „Coastal Carolina Track and Field –
Team“, auch endlich zum Abschluss der Saison belohnt. Die „Big South
Championships“, für unsere Universität der wichtigste Wettkampf, konnte wir
feierlich gewinnen. Als „Big South Champs“, wie wir uns nun nennen dürfen,
werde ich wohl nie die Sekunden der Bekanntmachung vergessen. Das Geschrei, die
Umarmungen, die Freude aller Teamkameradinnen...ein Gedanke, der mir immer noch
Gänsehaut bringt."
Man
merkt schnell, dass Christina Mohr aus Ulmen begeistern kann, dass ihre Sätze
und Worte von fröhlichen und lebensfrohen Gedanken geprägt sind. Das kann sie
nach außen transportieren, erst recht, wenn sie von ihrem Studienaufenthalt in
den USA erzählt. Im August 2004, nach ihrem Abitur, hat sie diesen über ein
Sportstipendium bei der Coastal Caroline University angetreten, ein
Schritt, den sie nie bereut hat. "Am Wichtigesten von all den Erfahrungen
die ich dort gesammelt habe, ist wohl die Erkenntnis, wie willkommen und
unersetzlich Freunde sind." Das hat sie geprägt und das macht auch den
Menschen Christina Mohr aus. "Mir ist es egal ob ich am Tag Tempoläufe
gemacht habe. Abends gehe ich trotzdem mit Freunden weg." Diese Freiheiten
braucht die Rheinländerin, diese Freiheiten hat sie schon immer gebraucht:
_völlig
untalentiert
"Sport
habe ich eigentlich nie richtig gemocht. Irgendwie fehlt mir da in vielem das
Talent. Nur Ballet, das habe ich mit 4 Jahren begonnen." Über ihrer
Eltern, die Hobbyläufer sind, ist Christina Mohr dennoch langsam zum Laufen
gekommen. Mit sechs lief sie den ersten Volkslauf. "Mit meinen Eltern bin
ich nach Lust und Laune hin und wieder mitgelaufen und an Wochenenden mal zu
einem Volkslauf." Mit 12 Jahren überzeugte sie ihre damalige
Klassenkameradin, Kerstin Marxen, doch einmal mit zu ihr ins Training zu kommen.
Dies tat sie nach langen Überlegungen auch und traf sogleich auf ihren jetzigen
Trainer Heinz Reiffenscheid. Ein Trainer über den Christina Mohr sagt: „Ihn
kenne ich nun schon so lange und er weiß wohl mit am Besten wie es in mir
aussieht.“
"In den technischen Disziplinen bin ich total untalentiert. Ich kann
eigentlich nur laufen." sagt sie und lacht dabei, denn ein Lachen gehört
immer zu Christina Mohr.
_die
ersten Erfolge
Die
ersten Erfolge stellten sich schnell ein. Als 14-jährige gewann sie ihren
ersten Landesmeistertitel. Mit 15 lief sie die 2000m in 6:38min und holt weitere
Titel in Rheinland-Pfalz. "Ich hab' da alles noch nicht richtig ernst
genommen, das folgte erst nach meinen ersten Deutschen Jugendmeisterschaften
2000 in Dresden." Den 15. Platz über 3000m hat sie als Ansporn gesehen und
die Erfahrung als Erfolg mitgenommen. Ein Jahr später, Christina Mohr
trainierte in dieser Zeit zwischen 5 und 6 Mal die Woche, folgte der Durchbruch.
Bei den Deutschen Crossmeisterschaften in Regensburg wurde die Rheinländerin
Zweite. "Ich hatte mir nichts vorgenommen und auf einmal war ich da Zweite.
Das war so eine riesige Überraschung." Christina Mohr hatte das erste Mal
dieses Gefühl erlebt, das sie auch heute noch als Grundlage ihrer Motivation
sieht. "Die Erfolge treiben mich an. Du sagst dir immer wieder: Das willst
du wieder, das ist so ein tolles Gefühl!"
_immer
Zweite
Bei
der Cross DM 2002 in Regensburg wurde Christina Mohr wieder Zweite. "Ich
habe mich trotzdem riesig gefreut. Eine Medaille habe ich noch nie als Enttäuschung
angesehen." Im Cross fühlt sich Christina Mohr wohl. "Ich liebe den
Cross. Wenn alles richtig matschig und dreckig ist und du von oben bis unten
bespritzt ist, dann weißt du, dass du was geschafft hast."
Bei den Deutschen 10km Meisterschaften in Schotten lief sie schon wieder
als Zweite ins Ziel. Ein zweiter Platz, der noch lange nicht der letzte gewesen
sein sollte: Bei den Deutschen Jugendmeisterschaften folgten weitere über die
3000m und 1500m Hindernis. "Nach den 3000m habe ich schon gedacht:
Verdammt, so knapp am Titel vorbei, doch als ich erfuhr, dass ich mit zum U18 Länderkampf
nach München durfte, war alles wieder vergessen." Der U18 Länderkampf ist
sicher ein Erlebnis, das Christina Mohr so schnell nicht vergessen wird.
"Ich dachte da nur: Oh je, jetzt bekommst du das Nationaltrikot. Schon
alleine der Gedanke war unglaublich. Und als ich damit völlig nervös am Start
meines Laufes stand wusste ich, dass ich das auf jeden Fall wieder will. Das
Rennen habe ich dann auch noch gewonnen, es war alles so unglaublich. Anschließend
durften wir noch die Europameisterschaften im Olympiastadion
miterlebt. Da habe ich mir gedacht: Dahin willst du auch mal. Das war
eine riesige Motivation für mich." Christina Mohr sollte nicht lange
warten müssen ehe sie das erste Mal bei einer internationalen Meisterschaft
dabei sein sollte.
_endlich:
Deutsche Meisterin
Es
war das Jahr 2003, das Jahr der U20 Europameisterschaften in Tampere. „An die
EM habe ich nie gedacht, dazu war ich mit meiner Zeit von der Quali viel zu weit
weg.“ Es lief wie immer, möchte man fast sagen. Zwei zweite Plätze bei den
Deutschen Cross- und Straßenlaufmeisterschaften. Doch dann sollte der Bann
endlich gebrochen werden. Im Mai 2003 bei den Deutschen
Langstreckenmeisterschaften in München holte Christina Mohr ihren ersten
Deutschen Meistertitel. Sie lief die 5000m in 17:06 Minuten.
"Das war ein Start-Ziel-Sieg. Gleich von vorne weg habe ich das
durchgezogen. Da ist eine so große Last von mir gefallen. Selbst bei mir in der
Schule hatte sie schon gesagt: Du brauchst doch gar nicht zur DM fahren, lass
dir doch die Silbermedaille gleich zuschicken." Christina Mohr hatte
gezeigt, dass sie es doch kann und legte beim Sportfest in Kassel gleich noch
einen drauf: Mit 9:33 Minuten unterbot sie ihre Bestzeit um fast 30 Sekunden und
verfehlte die Norm für die U20 Europameisterschaften in Tampere um nur 3
Sekunden. Doch nach einem weiteren Titelgewinn bei den Jugendmeisterschaften in
Fulda wurde Christina Mohr für die EM nominiert.
_U20
EM in Tampere
"Das
Ziel für Tampere war eigentlich nur, Erfahrungen zu sammeln. Es war ja schon
ein riesiger Erfolg überhaupt dabei zu sein." sagt sie und fährt fort
"Vor dem Wettkampf war ich auch richtig aufgeregt. Normal bin ich vor Wettkämpfen
ja absolut ruhig. Im Gegensatz zu vielen freu’ ich mich richtig drauf und bin
bereit mich der Konkurrenz zu stellen. Doch in Tampere war zu viel Neu, war zu
viel anders. Ich wurde 10. und war natürlich schon ein wenig enttäuscht, weil
die Zeit von 9:54 Minuten überhaupt nicht zeigte was ich drauf hatte."
Doch Christina Mohr wäre nicht Christina Mohr würde sie dieser Enttäuschung
lange nachtrauern. „Ich habe das als Erfahrung gesehen, als positive
Erfahrung! Die Mannschaft und die Stimmung waren super. Das hat riesig Spaß
gemacht und mit Sicherheit hab ich daraus sehr viel Motivation gezogen. Denn
wenn du im Nationaltrikot läufst, dann ist das was ganz besonderes. Etwas, das
du immer wieder erleben willst."
_das
erste Tief
In
der anschließenden Saison 2003/04 schien es genauso weiter zu gehen. "Bei
der DM in Siegburg bin ich dann ja wieder Deutsche Meisterin geworden und hab
mich da auch riesig gefreut." Doch als Christina Mohr aus dem
Ostertrainingslager aus Südfrankreich zurückkam stimmte etwas nicht. "Das
Training lief zwar noch gut, aber ich merkte, dass ich nicht bei vollen Kräften
war." Bei den Deutschen 5000m Meisterschaften in Borna war sie als
Titelverteidigerin am Start. "Nach 2km ging schon gar nichts mehr, als ob
ich das Laufen verlernt hätte." In 17:06 Minuten wurde sie Fünfte,
trainierte aber weiter. Ihr Zustand verschlechterte sich weiter. "Die
Pulswerte waren viel zu hoch, also haben wir einige Ärzte aufgesucht. Einer
stellte Viren in meinem Blut fest und gab mir Spritzen." Trotz allem wollte
Christina Mohr die Jugendmeisterschaften in Jena laufen. "Ich wollte es auf
jeden Fall versuchen." Ein Fehler wie sich herausstellte. "Ich war
schon nach einem Kilometer völlig am Ende und konnte mich noch als Fünfte ins
Ziel retten. Da war ich das erste Mal wirklich richtig enttäuscht. Alles lief
in den Saisons davor so gut und dann auf einmal sowas." Doch genau das
zeichnet die Läuferin der Gerolsteiner LGV aus, die Einstellung der Sache immer
das Positive abzugewinnen. "Das muss man einfach mal durchmachen, um zu
wissen wie schön Erfolg eigentlich ist."
_USA
und das Training
Es
folgte der USA-Aufenthalt von August 2004 bis Mai 2005. Christina Mohr kehrte
mit einer Schien- und Zehenmuskulaturentzündung zurück. "Das war natürlich
blöd, aber ich würde trotzdem sagen, dass mich die Zeit in Amerika auch
sportlich weiter gebracht hat. Das Gruppentraining war einfach super. Jetzt
laufe ich wieder alles alleine, das ist schon ein großer Unterschied.“ Neben
einmal die Woche Fitnessstudio und ein bis zwei Tempoeinheiten trainiert
Christina Mohr ihre Dauerläufe nie mit Uhr. "Ich laufe nach Gefühl. Wenn
auf dem Plan steht: 15km Dauerlauf, dann laufe ich eben eine 15km-Runde, ohne
dass ich auf die Zeit schaue. So vermeide ich Druck und behalte den Spaß am
Laufen.
_die
Form kam wieder
Über
Alternativtraining fand Christina Mohr nach ihrer, bis dato einzigen größeren
Verletzung, sehr schnell wieder den Anschluss. Nach den ersten Laufversuchen im
Juni konnte sie bei einem Abendsportfest in Troisdorf, einen Monat später, mit
16:33 Minuten über 5000m schon wieder eine Zeit laufen, die nach dieser kurzen
Zeit der Vorbereitung fast als Wunder angesehen werden konnte. Es ging wieder
bergauf, die Form wurde von Woche zu Woche besser, das Training in den USA
schien nicht ohne Folgen geblieben zu sein. Mit einem zweiten Platz bei den
Deutschen Juniorenmeisterschaften in Rostock hatte Christina Mohr endgültig
wieder zur alten Stärke gefunden. Und mehr noch: mit 9:32 Minuten über 3000m
und 34:31 Minuten über 10km, was ein weiterer zweiter Platz bei den Deutschen
10km Meisterschaften in Otterndorf war, verbesserte sie ihre Bestzeiten
ein weiteres Mal. Damit war die Saison zu Ende und Christina Mohr hatte gezeigt,
dass mit ihr auch in Zukunft zu rechnen sein wird.
_Unglaubliches
in Darmstadt
"Der
November und Dezember waren eigentlich nie meine Monate, denn ich bin ein
richtiger Herbstmuffel. Also bin ich ohne große Ambitionen zu den Deutschen
Crossmeisterschaften 2005 nach Darmstadt gefahren." Doch es sollte alles
ganz anders kommen. Das Training von 6 bis 7 Wocheneinheiten schien schon jetzt
gefruchtet zu haben. "Als ich im Ziel war kamen die ganzen Emotionen hoch,
einige Tränen hab ich vergossen. Es war einfach so unglaublich dass ich den
Titel gewann. Und als mir noch gesagt wurde, dass ich mit den Frauen zur EM nach
Tilburg darf, da konnte ich gar nichts mehr begreifen. So viel Gutes auf einmal,
das war der Wahnsinn."
Bei
den Europameisterschaften konnte man natürlich noch nicht sehr viel erwarten.
Bei den Frauen geht es ganz anders ab, als noch bei den Juniorinnen. "Ich
wollte einfach Erfahrungen sammeln. Das ist ja eine ganz andere Klasse. Und ich
hab’ auch einiges darüber gelernt wie es da so abgeht." Für Christina
Mohr war dieser 61. Platz ein weiterer Puzzelstein, ein weiterer Schritt ihrem
Traum entgegen. "Mein Traum ist es einmal wirklich international mitmischen
zu können. Das heißt bei den Frauen öfter international am Start zu sein.
Doch mit konkreten Zielen bin ich vorsichtig. Die behalte ich lieber für mich,
denn viele sind doch eher noch Träume als Ziele." Und damit hat sie wohl
recht, damit erspart sie sich eine Menge Druck von außen. In ihrer lockeren Art
sagt sie dann noch: „Und so
lange ich noch Spaß am Laufen habe, werde ich auch weiterhin fleißig sein, da
ich ohne laufen eh nicht mehr kann.“
_Studium
Jetzt
lebt und studiert die 21-jährige an der Uni Köln Englisch und Deutsch auf
Lehramt. "Das macht richtig Spaß dort, auch wenn die Trainingsbedingungen
nicht so toll sind. Da muss ich eben oft die Pausen zwischen den Seminaren für
ein Läufchen nutzen. Aber daran gewöhnt man sich. Irgendwann macht dir das
auch nichts mehr aus, das geht schon." Und genau so ist Christina Mohr. Sie
ist jemand, der nicht nur sagt, wie toll doch positives Denken sei. Nein, sie
ist jemand, der ständig den Dingen etwas Gutes abgewinnt. Das trägt sie voller
Offenheit nach außen, lebt sie beim Leistungssport wie auch im Privatleben. Und
man muss kein Experte sein um sagen zu können, dass diese Einstellung keine
negative Auswirkung auf ihre läuferischen Leistungen hat. Denn wer ständig
alleine trainiert und sich Tag für Tag aufs Neue motivieren muss, der weiß wie
wichtig da die Psyche ist.
Christina
Mohr scheint ihren Weg gefunden zu haben. Einen Weg gebaut auf Freude,
Erfahrungen und Träumen. Und dieser Weg hat sie eine Sache gelehrt, eine Sache,
die sie tagtäglich in sich trägt: "Man
muss diese Welt in ein positives Licht rücken und an ihr gefallen haben!“
Mehr muss man über Christina Mohr nicht sagen.