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Wenn die Natur keine Läufer duldet

 

Wie Peitschenhiebe fühlen sich die Schneeflocken an, die auf meinem Gesicht auftreffen. Der entgegenpfeifende Sturm scheint mir sagen zu wollen, dass ich die andere Richtung einzuschlagen sollte. Die dünne Schneedecke auf dem Asphalt, häuft sich  von Minute zu Minute fast auf Knöchelhöhe an. Trotz Handschuhen schreien meine Hände nach Wärme, wie abgestorben hängen sie noch an meinen Armen. Als ob sie das Blut in den Adern nicht mehr erreichen würde. Die Frontseite meiner Jacke ist von einem Mosaik aus Schneeflocken besetzt. Immer dichter zieht sich der Schneevorhang vor mir zu. Ich ziehe meine Mütze fast bis über beide Augen, in der Hoffnung diese vor gezielten Treffern, entgegengeflogener Flocken, zu schützen. Jeder Schritt wird schwerer, nur mühsam kann ich mich, vom immer tieferwerdenden Schnee, abstoßen. Es kommt mir vor, als würde ich eine Tonnenlast hinter mir herschleifen. Ich habe kaum Zeit mich aufs Laufen zu konzentrieren, (von genießen ganz zu schweigen) weil ich ständig damit beschäftigt bin, meiner laufenden Nase mit einem Taschentuch entgegenzuwirken. Wie in Trance greife ich immer wieder zur Jackentasche, um das alte und durchnässte Schnupftuch zu ersetzen. Der dichte Schneewirbel lässt kaum eine Chance, den Blick nach vorne zu richten. Wie bei einem anlaufenden Stier, konzentriert sich mein Blick auf den Boden. Dieser zeigt mir jedoch außer weißer Endlosigkeit nichts. Kein Fußabdrücke, keine Reifenspuren, nur Schnee. Verweht sind sie, verweht sind die Fußspuren spielender Kinder, Spaziergänger oder vielleicht auch Langläufern, die sich noch vor wenigen Stunden an selbiger Stelle aufhielten.

Die Natur zeigte sich an diesem Tag von ihrer hässlichsten Seite. Sie schien sich von all den menschlichen Belastungen freizumachen. All die gesammelte Wut und Aggression in Form eines Unwetters abzulassen. Wer will es ihr vergönnen. 

Der Straßenlauf verwandelt sich langsam in einen, von tiefem Boden geprägten, Crosslauf. Jeder Schritt zieht mir mehr Kraft aus den schmerzenden Beinen. Meine Gedanken versuchen nach einem Grashalm der Motivation zu greifen: "Irgendwann muss ich ja Rückenwind haben, und dann wird alles viel leichter!" oder "Was sollen da erst die Skilangläufer sagen, diese Bedingungen sind für sie Alltag." Die letzten Meter bis zum Wendepunkt, dann wird alles besser, versuch ich mich noch einmal aufzumuntern. In einem großen Halbkreis schlürfe ich wieder dem Startpunkt entgegen. Niemand war zu sehen, nicht einmal ein Auto war in der dichten Winterlandschaft zu erkennen. 

Nichts änderte sich, es kam mir fast so vor als blies der Sturm jetzt doppelt so stark in mein Gesicht. Meine Körperhaltung glich der eines schiefen Pfahles, der zu kippen droht. so stark war der Wind, gegen den ich mich legte.  Wie ein Teufelskreis schien mich der Schneesturm in seinen Bann genommen zu haben. Ein entkommen war unmöglich. Mittlerweile mussten die restliches Gesichtspartien, die noch unter meiner Mütze herausschauten von einer Eisschicht bedeckt gewesen sein, denn jegliches Gefühl war verloren gegangen. Einzig die Gedanken an eine heiße Dusche und an eine warme Tasse Tee trieben mich jetzt noch vorwärts. Meinen Beinen  war jede Form von Tempowechsel fremd. Wie Maschinen stapften sie dahin. 

Daheim angekommen stürzte  ich mich in die warme Stube. Langsam tauten meine Gliedmaßen wieder auf. Als ob man neu geboren wird. Die Haut füllte sich wieder mit Leben. Die Finger kamen wieder in den Genuss, sich Strecken zu können. Ich war froh, dass es vorbei war.

In solchen Momenten versteht man die Menschen, die das Laufen für sinnlos und überflüssig betrachten. Ich glaube in diesem Moment war ich selbst einer von ihnen. Ja, bei all den traumhaften Läufen, bei Sonnenschein und angenehmen Temperaturen, musste man bei solchen Witterungen die Schuhe auch Mal stehen lassen. Diese Bedingungen machten keinen Spaß. Regen, Schnee bei Sonnenschein, Wind, nie würde ich davor zurückschrecken meine Schuhe zu schnüren. Doch wenn dir die Natur davon abrät, sollte man sie nicht herausfordern.

 

Anmerkung: Diesse Kolumne findet ihr auch auf www.running-services.de  

Stefan Faiß (24.02.2002)