Unvernünftiger Trainingswissenschaftsmissachter
Es ist ein Tag wie viele in diesem Januar: Kalt, dunkel und trüb. Der graue Asphalt ist nur vereinzelt zu sehen, die Eisdecke bestimmt das Bild. Es ist weiß Gott kein Wetter um die Laufschuhe zu schnüren, um einen lockeren Dauerlauf zu absolvieren. Nein, dass ist ein Wetter, dass sind Bedingungen bei denen sich der ein oder andere Techniker, der ein oder andere Sprinter gemütlich im Kraftraum die Hände in den Nacken legt, sich auf die Matte sinken lässt und durch das Fenster aus dem Warmen hinaus in das Kalte, in das Rutschige schaut. Ein Techniker kann das, ein Sprinter kann das auch, aber kann das auch ein Läufer? Wir reden hier nicht nur von einem, von zwei oder von drei Tagen, nein es geht um Wochen, Wochen die andere Leichtathleten in der Halle verbringen. Der Läufer hingegen lebt in der Natur, er bracht die Natur.
Es gibt einige, die das Glück haben ein
Laufband in der warmen Stube zu haben, wo sie ohne Probleme einem solchen Wetter
aus dem Weg gehen können. Selbst Tempoeinheiten lässt das Laufband mit sich
machen. Es dient nur dem Training, dem monotonem Laufen, aber Spaß würde mir
dass auf die Dauer keinen machen, es wird nicht umsonst Folterkammer genannt. Dann gibt es wiederum andere, die ähnliche
Ausweichmöglichkeiten suchen. Ihnen macht es nichts aus über mehrere Wochen das
Schwimmbad aufzusuchen um das "Wasserlaufen" auszuüben. Doch mit dem Aquajogging
ist, wie wir alle wissen, nur eine Leistungssteigerung in sehr geringem Maße möglich. Es dient mehr der
Formerhaltung, der Alternative. Tempoläufe auf festem Untergrund ersetzt es
aber bei weitem nicht. Und gerade die braucht man, wo es doch jetzt auf die Hallensaison, die
Cross- und Straßenläufe zugeht.
Ich hingegen habe weder ein Laufband zu Hause, noch bin ich jemals in meinem Leben im Wasser gelaufen. Für mich gibt es den Wald, die Straßen, die Laufbahn - mehr nicht. Und wenn es dann so ist, wie beschrieben, dass es eigentlich nicht möglich ist zu Laufen, ja dann, dann schlägt die Stunde der Abenteuer, der Eisschnellläufe.
Dann stehst du da, weißt, dass es in einer Stunde dunkel wird und du willst nun endlich laufen. Hier in meinem Höhentrainingslager, wo ich all meine Dauerläufe absolviere und der Schnee noch etwas länger und höher liegt, als im Tal habe ich natürlich nicht nur Vorteile. Ich wohne auf 420 Meter über dem Meeresspiegel und nutze so optimal die Gewinnung der roten Blutkörperchen ;) Doch ehe ich den ersten Schritt gemacht habe, sehne ich mich, so ehrlich muss ich sein, nach einem warmen, nach einem trockenen Wetter, einem grünen Wald mit weichen Wegen, nach Sonne. Ja, ich würde sogar mein Höhentraining abbrechen, würde dieses Opfer bringen. Doch Träumerei hat noch nie Kilometer gebracht. Ich entscheide mich daher, das Ganze einmal ruhig und behutsam anzugehen. Taste mich an den Belag heran und merke schnell, dass es anstrengender wird als sonst, dass es mich mehr Konzentration kostet als auf griffigem Untergrund. Nach 5 bis 10 Minuten werde ich langsam warm. Ich beherrsche das Parkett, habe sein Reibungsverhalten erfahren und analysiert. Das sah dann ungefähr so aus:
Mit verkürztem Schritt und stetigem
Blick auf den Boden vor mir, versuche ich erst mal soviel Asphalt wie möglich
zu erwischen. Dass kann man sich in etwa so vorstellen, als ob ich auf
glühender Kohle laufe. Immer wieder spring ich schnell vom Boden ab und suche
die nächste kurze Berührung. Die Arme rudern dabei wie Propeller durch die
kalte
Luft. Hin und wieder
muss ich allerdings auch einige Glatteispassagen überbrücken. Mit den besten
Breakdanceeinlagen versuche ich meinen Abdruck kontrolliert zu vollziehen, ein
Moonwalk darf da natürlich nicht fehlen: Ich ziehe die Sohle geschmeidig über den Untergrund, wobei geschmeidig
nicht für meine Körperhaltung gelten kann, denn ich versuche durch
Luftruderübungen mein Gleichgewicht zu halten, die Arme dienen erneut als
Hauptakteure. Mit etwas Musik könnte ich damit bei Konzerten für den Tanzakt
sorgen. Ein
kleiner Rittmeier darf natürlich auch nicht fehlen, wenn ich schon mal auf
Glatteis bin. Dabei wird meine Sohle
auf einmal von einem hervorschauendes Asphaltstück blockiert. Der
Auffangversuch beschert mir diese
Einlage. Mit dem Oberkörper etwas weit nach vorne gebeugt komme ich zur
Landung. Meine Haltungsnoten dürften höchstens im Zehntelbereich liegen.
Vereinzelte Spaziergänger hegen nicht etwa die Hoffnung, dass dieser Hampelmann
auf dem Glatteis endlich mit dem Boden Bekanntschaft macht. Nein, die drücken
mir die Daumen, hoffen nur das Beste. "Wie kann man bei solchen Bedingungen
nur Laufen?" scheinen sie zu sagen. Bevor es dann in eine Kurve geht,
zieh ich quasi die Handbremse und gleite in Rallyemanier in eine andere
Richtung. Natürlich ist hier das optimale Timing extrem wichtig. Aber ich als
Schüler eines technischen Gymnasiums hab natürlich alles schon im Kopf
berechnet. Gleitreibung, Bremsweg, Geschwindigkeit, Winkel... Na ja, auf jeden
Fall lande ich hin und wieder im angrenzenden Feld. Reibung ist eben doch nicht
immer zu vernachlässigen. Wegstücke Berg ab werde selbstverständlich ohne
jeglichen Kraftaufwand überwunden. In Abfahrtshocke suche ich die
aerodynamische Position, die mich am schnellsten gen Tal bringt. Mehr als ein
6er Schnitt ist aber leider nicht drin, ich muss griffigeren Boden im Wald
suchen, zu Riskant ist der Hang. Klar, wer Berg runter läuf..äh rutscht, der
muss auch wieder hinauf. Das wiederum kann in vereinzelten Fällen zu einer
Laufbandsimulation führen. Ich erinnere mich nur zu gerne an diese amerikanische
TV-Serie: American Gladiators. Das abschließende Laufband im Eliminator zeigt
es wohl am deutlichsten auf. (Hab ich einmal beim durchzappen gesehen, normal
schau ich ja so was nicht an, ich doch nicht ;) Zu Takeshi's Castle möchte ich
allerdings keine Parallelen ziehen, wieso auch? Na ja und nach all dem überlegt
man sich, ob man nicht doch lieber wieder umkehren soll. So anstrengend sind
selbst Tempoläufe nicht, so sinnlos aber auch nicht, möchte man meinen.
Jeder Trainer
würde mir davon abraten, jeder Sportwissenschaftler würde die Hände über
seinem Kopf zusammenschlagen. Sie würden mich ins Wasser auf den Ergometer
schicken - bloß nicht verletzen. Ich hingegen, als unvernünftiger
Trainingswissenschaftsmissachter halte es natürlich für unnötig, dem
Verletzungsrisiko aus dem Wege zu gehen. Ich, der 2 Stundenläufe während der Bahnsaison
einstreut, der Koordination als Kraftverschwendung sieht und Athletik auch gern
mal vernachlässigt muss sagen, dass ich so laufe wie ich mich fühle, dass ich
das Neue am Laufen, das Außergewöhnliche suche. Ich bin ein Laufabenteurer,
einer, der die Natur als Neuland sieht und sie immer weiter erforschen, erkunden
will. Wenn ich an eine Weggabelung komme, wähle ich nicht den sicheren Weg
zurück, nein, ich wähle jenen, der mir Ungewissheit, Neuland beschert. Dies gilt
wie gesagt auch für die Wetterbedingungen. Was soll ich nur laufen, wenn es
schön und angenehm ist? Ich laufe fast immer, auch wenn es manchmal nicht so
schön ist, aber es sind Erfahrungen, es sind Extreme die mich
anziehen. Als Gegenteil würde ich niemals ein
monotones, diszipliniertes und geplantes Training aufgedrückt bekommen wollen.
Ich
brauche diese Freiheit, diesen Freiraum mich beim Laufen ausleben zu können. Ich schöpfe
auch meine Motivation aus solchen Erlebnissen. Und diese brauche
ich, wenn es draußen wieder kalt und verregnet ist.
Allen Läuferinnen und Läufern viel Spaß und Verletzungsfreiheit in diesen "außergewöhnlichen" Tagen.
Link zu dieser Kolumne bei laufen-aktuell.de (Dort gibt es auch die Möglichkeit eine Rezension zu hinterlassen)
"The best long distance runners eat raw meat, sleep naked, and run in the snow."
Stefan Faiß (21.-23.01.2003