Illustre Geschichten aus dem Schulsport Teil 1
4. Klasse: "Vor-der-Klasse-muss-ich-mich-beweisen-Läufer"
Heute war es soweit, heute hab ich, oder hätte ich die Möglichkeit gehabt, das letzte Mal Leichtathletik im Schulsport zu machen, denn mit den Herbstferien ist auch unser Leichtathletikblock für die 13. Klasse zu Ende. Eine Chronologie die sich, in meiner Schulzeit, weit zurück verfolgen lässt. Aber eins hat sich dabei nie geändert: Schulsport ist fast genauso unterhaltsam wie Theater, man hat eigentlich immer was zu Lachen. Die ersten Erinnerungen, an festgehaltene Leistungen, datieren aus der 4. Klasse, als ich damals, noch auf Aschenbahn, die famosen Leistungen von 8,4 Sek. über 50m und 3,50m im Weitsprung erreichen konnte. Ich kann mich noch erinnern, wie wir damals in diesem so schulsporttypischen Ablauf, immer zu zweit oder dritt, gestartet sind. Der mit Stoppuhr bewaffnete und mit einem, für ihn zu kleinem, Trainingsanzug bekleideten Sportlehrer übertrug dann meistens einem Schüler die Aufgabe des Starters und führte das Prozedere des Startens so oft durch bis auch das letzte Trommelfeld wie ein Luftballon zerplatzt war. Immer wieder schlug diese Startklappe vor unseren Ohren zu. Also stand der Starter, meist ein Simulant erster Klasse, in Straßenklamotten gekleidet bei den Startblöcken und markierte den Gelangweilten, der doch eigentlich nur hier war um keinen Stress mit dem Eltern zu bekommen. Nachdem ihn der Lehrer des öfteren aufgefordert hatte, endlich mit dem Nuscheln aufzuhören, entschloss sich der Gestrafte dann der Klasse wegen, doch dazu, sich etwas mehr Mühe zu geben und brüllte das Kommando lautstark heraus.
Schon am Startblock bestimmten heftige Diskussionen das hektische Klima: "Mit dir lauf ich nicht, du bist mir zu schnell" oder "Ja, klar, und naher läufst du dann doch schneller." Es mussten Laufpartner gefunden werden - es wurde selektiert. und falls irgendjemand einmal gedacht haben sollte, dass man in diesem Alter im kollektiv denkt, der war wohl noch nie bei einem Klassenwettkampf dabei. Hier lebt der Egoismus, ja hier blüht er förmlich auf. In einer Schülertraube versammelt werden die eigenen Interessen durchgesetzt , zumindest wir es versucht. Als besonders begehrt galten damals die etwas kräftigeren Kollegen, die Fraktion "Sport-ist-Mord", sie erfreuten sich auf einmal enormer Beliebtheit, da ihnen Sport sowieso egal war, beteiligten sie sich nicht weiter an diesen Verhandlungen, sondern fügten sich dem "Sportsfreund", der sich durchgesetzt hatte. Die größten Schwätzer der Klasse waren meist diejenigen, die sich solche "gleichstarken" Gegner angelten und kamen sich dann besonders toll vor, weil sie dachten dem Klassenbesten den Rang ablaufen zu können. Im Ziel schwellten diese ach so Schnellen dann ihre kleinen Hühnerbrüste um den anderen von ihrem grandiosen Sieg mit fast 20m Vorsprung zu berichten. Das wiederum wurde meist nur mit einem "Interessiert mich nicht" quittiert. Nach einigen wenigen Rechtfertigungsversuchen sahen die "Vor-der-Klasse-muss-ich-mich-beweisen-Läufer" dann ein, dass ihre Leistung nur eine riesige Seifenblase war. Prestige und Ansehen konnte nur der Klassenbeste für sich verbuchen, weil im Endeffekt nur der Zeitschnellste der Bewunderte war. Es überraschte mich damals, wie ich mit meinen 8,4 Sekunden in die Gruppe der Gymnasium-Anwerter aufgenommen wurde. Das waren jene Schüler, die etwas besonders gut und damit besser als jeder oder jede andere in der Klasse konnten. Mathegenies, Fußballspieler, Mädchenschwärme und, und, und. Doch wie sich später herausstellen sollte, hatte ich zu dieser Zeit mit dem Gymnasium genau so viel am Hut wie Ingolf Lück mit Komik - nämlich gar nix.
8.Klasse: "Ausproportionierung"
Ja und dann waren da auch noch diese legenderen Ausdauerläufe in Form des 1000m Laufs oder des allseits beliebten Cooper-Tests. Cooper-Test: wie Musik klingen diese Worte in meinen Ohren. Ich konnte es jedes Mal kaum erwarten endlich einen zu laufen. Leider ist es in meiner Schulzeit dann aber nur bei einem geblieben, da meist die Mehrheit der Klasse dagegen kandidierten. Ich erinnere mich noch an die 8. Klasse zurück, als wir uns bei herrlichem Sonnenschein zu mittäglicher Stunde im Georgii-Waldstadion auf dem Jägerhaus trafen. Teils mit dem Bus, teils mit dem Fahrrad herangekommen, empfing uns unser Lehrer gleich mit der Aufforderung, dass wir uns Warmmachen sollten. "Was?.... Warmmachen?..... Bei der Hitze noch warm machen?..... Und nachher kann ich nicht mehr, nix da - wo ist hier das Klo?" Gewohnte Kommentare, die man eigentlich immer hört wenn diese Aufforderung kommt. Unser Lehrer ließ dann jeden machen was er wollte, er wollte nur seine Noten. Also liefen ein paar Fußballer und ich uns vielleicht 2 oder wenn's hoch kommt 3 Runden warm. Kurz gedehnt und an den Start geeilt.
Die "Anti-Warmmach-Aktivisten" waren schon dort und ließen ihren Ärger des langen Wartens an uns aus, bevor sie sich auf einen Sprintstart vorbereiteten. Der Lehrer mit dem üblichen Equiptment von Stoppuhr, Klassenliste und Notentabelle ausgestattet stand auf dem Rasen neben uns und gab uns letzte Tipps. Natürlich hörte keiner zu - "Wann geht's endlich los?". "Halt" unterbrachen noch einige "Fitnessstudio-Solarium-Abonnenten" den Startvorgang. Logisch, sie mussten sich ihres Oberteils befreien, denn die weibliche Sportgruppe war so eben aufgetaucht. Also flogen ein paar Hemden gen Fußballrasen und die gestählten Körper kamen zum Vorschein. Prüfend wurden die Fortschritte seit der letzten Sportstunde begutachtet, sorgfältig wurde jede Rille, jede Faser verglichen. Den anderen Schlechtreden hörte sich dann in etwa so an: "Hey netter Oberkörper, gibt's den auch in Austrainiert?", oder "Also deine recht Schulter ist eindeutig größer als deine Linke!"....."Hey, schielst du?, das ist alles ausproportioniert!"........."Was? Ausproportioniert? Schau meine Schultern an, dann weißt du was ausprogro...wie auch immer ist!" "Na immer noch besser als deine Ranze!" bla bla bla... (das Wörtchen "ausproportiniert" gilt in der deutschen Rechtschreibung gemeinhin als Neuland!) Ein kleines Posing durfte da natürlich nicht fehlen. Die Muskelfetischisten warteten jetzt wie gespannt darauf endlich ihr Können unter Beweis zu stellen, die Mädchengruppe würde bald wieder verschwinden und dann? Was hätte laufen dann noch für einen Sinn?
So viele Runden wie möglich waren in den folgenden 12 Minuten zu absolvieren. Neben den "Freien-Oberkörpern" unterschätzen auch noch ein paar "Nikotinsportler" diese Zeit, weil sie wohl seit ihrer Kindergartenzeit nicht länger als 100m gerannt waren. Jetzt würde die Meinung, dass man nur rauche um den Weg zur Lunge zu teeren, dass die Luft schneller durchkommt, auf radikalste Weise wiederlegt werden. Beachtlich, wie sie nach 200m mit fast 50 Meter Vorsprung das Feld zerlegten. Sie strahlten Coolness aus, kontrollierten die anderen. Sie versuchten Locker zu bleiben, ihren Gesichtszüge verrieten schon deutlich die heftigen Versuche wieder in die Aerobe Zone zu kommen. Säure musste schon präsent sein.( So viel zum Thema "Vor-der-Klasse-muss-ich-mich-beweisen-Läufer"!)
Eine weitere Gruppe waren die Fraktion "Computer-Checker", Sie hielten sich von Beginn an zurück, ließen diese Aufgabe logisch angehen: Die Taktik war lediglich nicht das Gesprächsthema zu verlieren. Wieso Quälen? Lieber: "ÄHHHHM wie war das noch mal mit War Kraft 3?..." Na ja, sie ließen sich eben nicht wirklich davon abbringen ihre realitätsfremden Gespräche fortzuführen - Freaks eben. Als weiterer Pol gesellten sich die "Am-Wochende-dicht-bis-obenhin" Abteilung hinzu. Die leichten Fahnen verrieten noch die Desperado, die zur Feier des Tages in der Mittagpause gekippt wurden. Sinnloses Gelaber und konkrete Sauftourpläne waren ihre Markenzeichen. Sie pflegten die Meinung: "Was soll der Sch... hier, wieso bin ich überhaupt hier, wenn ich das gewusst hätte." Kampftrinken ist eben nicht gleich Laufen, obwohl es laut O-Ton als Leistungssport gezählt werden muss. Dann war da noch die Abteilung "Realisten" die ziemlich breit gefächert war, da es in jeder Leistungsklasse welche gab. Sie wählten ihr Tempo ihrem Leistungsvermögen entsprechend und liefen dann ihren Stiefel runter. Meist ein paar wirklich ambitionierte Fußballer, oder eben der Typ, welcher gemeinhin als Otto-Normalverbraucher genannt wird.
Nach etwa 300 Metern wurde aus einem 2:30er Schnitt für die Ersten rapide ein 5er Schnitt - sprich: das intensiv Oberkörpertraining versagte auf voller Linie beim Laufen, ob es an der falschen Ausproportionierung lag? Sie ließen sich, wohl oder übel zurückfallen und gaben, um ihre Niederlage zu begründen, den typischen Spruch ab, der wohl jedem schlechten Verlierer über die Lippen kommt: " Ich bin heut ned gut drauf!" Ein Klassiker, ein Evergreen eben. Stimmt, normal laufen die nämlich den 2:30er Schnitt locker durch, aber wenn man nicht gut drauf ist, ich meine das ist doch völlig OK. Wenn ich nicht gut drauf bin, dann lauf ich die 100m auch nur in 13 anstatt 10 Sekunden - ist doch normal. Als sich dann nach etwa 3 oder 4 Minuten die Leistungsklassen herauskristallisiert hatten, liefen wir zu zweit auf einem 11Minuten-auf-die-3000m Kurs, da diese Strecke exakt der Höchstnote entsprach. Der Schweiß triefte, der Lehrer wollte uns bremsen, wollte, dass wir nicht zu schnell liefen, da es ja gut mit den 3000 Metern reichen würde. Egal, nachdem wir die "Nikotinsportler" und "Muskelberge" das x-te Mal überrundet hatten, konnten sie sich doch tatsächlich dazu herablassen um uns ihre Anerkennung auszusprechen. Die Computer-Abteilung schob einen ruhigen Joystick und ließ sich nicht von ihrem Gespräch abbringen. Mission "Gehirnzellen-Massaker-mit-Alkohol" hatte mittlerweile den Gehschritt einlegt, um dann wenig später den Schatten der Bäume als Rastplatz aufzusuchen. Der Alkohol hatte als Doping versagt, oder war es zu wenig? Die Sonne strahlte in mörderischer Art und Weise auf uns herab.
Ich beendete den Lauf letztendlich nach 3000m in 11 Minuten und ging zum Start zurück auf die Zielgerade. Ich konnte noch beobachten wie mein ehemaliger Mitläufer auch noch die Note eins erreichte - weitere gab es nicht. Nach exakt 12 Minuten stoppte unser Lehrer dann die Tortur und forderte jeden auf, an seinem Platz stehen zubleiben. Natürlich klappte das wieder nicht! Die Raucher waren schon wieder auf dem Weg ein Lungenbrötchen zu vertilgen - 12 Minuten ohne waren schon hart. Vielleicht sollten sie es einmal mit einem "Nikotinpflasteranzug" in dieser Zeit versuchen, wer weiß, vielleicht hilft es was. Die "PC-Familie" bekam das, wie nicht anders erwartet, überhaupt nicht mehr mit, sie waren so eben in einer heftigen Diskussion um das Erscheinungsdatum des PC-Spiels Comand & Conquer vertieft - ihnen wurden später 50 Meter abgezogen. Das faszinierende an solchen Leuten ist ja, dass sie in eine ganz andere Welt abtauchen. Die Bäume erstrecken sich dort als, Kondensatoren, der Fußballrasen als Motherboard, die Laufbahn als Leiterbahnen. Sie lebten nicht frei, sie waren digitale Zustände: Beim Themengebiet "Computer" wurden sie zu einer logischen "1"- redeten ohne Ende, der Rest war die logische"0"- unauffällig sein. Und das ist kein Witz! "Und die "Hantelheber"?.... Ja wo waren sie denn?.... AHH, da drüben liegen sie." Faszinierend wie schnell sich doch ein Brustkorb auf und ab bewegen kann. Es konnten fast parallelen zu einem Taktgenerator gezogen werden. Die Frequenz musste etwa der selben wie ihres Pulsschlages entsprechen. (Frequenz von Herzschlag=Atemfrequenz lautete die hierfür gebräuchliche Formel.) Aber ich meine, jeder hat mal einen schlechten Tag. Aber sie haben den Weltrekord fast gehabt, sie waren 100m lang auf 3000m Weltrekordkurs gewesen - Respekt! Na ja, und was unsere Trichter unterm Baum anging, so kann ich nur noch hinzufügen: "Sch... drauf!"......was mach 'mer?" (30 Minuten schweigen) "MHHHH gehen wir ne Runde kicken?"..."Was????? Komm hau ab! Komm, weg! aber schnell!"..."Geh mer einen Saufen?"... "Hey, gute Idee, Wahnsinn, geh mer!" ("mer" = mir) Huch, das kommt jetzt aber überraschend, welch Geistesblitz! Und da sage noch mal einer Alkohol tötet Gehirnzellen ab - so ein Quatsch!
Und so ging diese Schlacht auch irgendwann zu Ende, die Noten waren gemacht und der Lehrer war glücklich. Wir packten unserer Sachen, stiegen auf unsere Räder und setzten uns langsam aber sicher in Bewegung. Die Beine war noch etwas schwer, der Schweiß war auch noch präsent. Wir radelten los, der Lauf ging noch einmal durch den Kopf, ich blickte ein letztes Mal zurück und konnte außer ein paar weißen Rauchschwaden hinter dem Vereinsheim nichts weiter ausmachen. Mein erster und einziger Cooper-Test war geschafft. Die Akteure waren weg - der Vorhang schloss sich...
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Stefan Faiß (21./22.10.2002)