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Die Form meines Lebens

 

Will man meine Saison anhand eines Form-Diagramms darstellen würde es dem Verlauf eines New-Economy Unternehmens relativ nahe kommen. Relativ rasch steigt die Kurve zum Höhepunkt um sich dann nach und nach dem Nullniveau anzunähern. Dort stagniert sie zum jetzigen Zeitpunkt immer noch - will nach Vorbild des deutschem Wirtschaftswachstums nicht so recht aus den unteren Regionen entsteigen. 

In Ereignissen heißt das folgendes: Mit solidem Grundlagentraining bin ich letztes Jahr im Oktober in eine für mich vielversprechende Saison gestartet. Die 1500m standen an oberster Stelle. Ich hatte mich mit meinem Trainer auf eine Zielzeit von etwa 4:10min fixiert. Das wollte und konnte ich schaffen. Dieses Zeit diese Strecke sollte mir in meinen harten Trainingssituationen als Antrieb im Kopf sein. Nur die 1500 Meter, alles andere ist egal.

Durchschnittliche Wochenumfänge um die 90 Kilometer sollten die Basis bilden. Hinzu kamen, wie noch nie in den Jahren zuvor, eine gehäuft Anzahl an Fahrtspielen. Die meist mit Belastungen von 8 bis 2 Minuten bestückt waren. Der Wald bot hierfür das optimale Trainingsgelände. Sie sollten den frühen Einstieg auf Bahnläufe etwas verzögern, sollten nicht zu früh die Lust auf das rote Rund verbauen. Ich absolvierte diese meist alleine oder mit meiner Freundin, die mich schon ganz schön forderte. Ergänzt wurde das ganze durch Bergläufe von 200 bis 400 Meter und jeweils einem langen Lauf pro Woche. Da durften es auch mal 2 Stunden am Stück sein- wenn es gut lief. Dabei war mir allerdings wichtig, dass die letzten 2 bis 3 Kilometer eines jeden "Langen" im 10km-Wettkampftempo absolviert wurden. Bei mir waren dass in etwa 3:30min auf den Kilometer. Das hieß für mich, dass ich vor den letzten 2 bis 3 Kilometern auf unsere Aschenbahn in unserem Nachbarort Schanbach einbog um das Tempo von Runde zu Runde zu steigern. Einmal absolvierte ich die letzten 400m in 66 Sekunden - ich hoffte auf den zündenden Trainingseffekt.  So erreichte ich im Vergleich zu den Jahren zuvor schon relativ früh eine für mich gute Form. Anfang November eine 36:04min über 10km aus vollem Training stellten mich nicht ganz zufrieden, zeigten aber wo es hingehen sollte. Ich trainierte weiter, teilweise schon an die 100 Kilometer die Woche. Baute meine Form aus und konnte Ende November schon 10x1000m mit 2 min Trabpause in einem Schnitt von 3:25min pro Lauf absolvieren. Eine solche stabile Serie konnte ich meist erst im März oder April vorweisen, nicht aber schon im November. Es folgte eine Phase, die mein Körper mit Müdigkeit und Kraftlosigkeit quittierte. Die Tempoläufe liefen nicht mehr, die langen Dauerläufe zehrten an meiner Substanz. Ich musste Läufe, Fahrtspiele abbrechen, musste Gehpause einlegen. Vielleicht die Kälte, der Schnee, das harte Training? Ich spürte oft am nächsten Tag nichts mehr, wollte nichts spüren. Auch die Tatsache, dass all meine Dauerläufe einer Höhendifferenz von etwa 200 Metern unterlagen brachte Erklärungsgründe auf. Ich lief Tag ein Tag aus Läufe, die nie unter einer Stunde waren. 4:30er bis 4:15er Schnitt war die Regel - zur Regeneration durfte es auch mal ein 5er Schnitt sein. So erreichte ich eine Woche vor Weihnachten schon wieder eine Serie von 3x2500m in 8:47 bis 8:35. Das motivierte mich, ich war wieder da, hatte die Schwächephase überwunden - dachte ich. Freute mich nun auf das Türkeitrainingslager über Silvester.

In diesen sieben Tagen erreichte ich vielleicht die Form meines Lebens. Das scheint vielleicht etwas übertrieben, aber ich denke, dass ich kaum einmal so ein Leistungsvermögen hatte. Dies bezieht sich jetzt nicht auf Mittelstreckenleistungen, ich denke da viel mehr an die längeren Sachen wie 5000 oder 10000m. Jeden zweiten Tag standen schnelle Sachen auf dem Programm. Alles im Wald, auf Sand. So war die erste dieser Einheiten ein Fahrtspiel mit einer Gesamtbelastung von 32Minuten verteilt auf 8 bis 2 Minuten. Es war ohne Zweifel eines der härtesten, dass ich je gemacht hatte. Ich fühlte mich zu Beginn des Trainingslagers noch etwas schlapp, spürte aber wie im Laufe der Tage die Form anstieg. So war es am vierten Tag ein 10,3km langer Tempodauerlauf der mir eine erste Standortbestimmung lieferte. Auf die 10 Kilometer waren das etwa eine 35:30min was unter den Umständen von hügligem Gelände und zeitweiligem Sandboden sicher im Bereich meiner Bestzeit gelegen haben durfte. (35:04min) Am vorletzten Tag dann der Höhepunkt mit einem abschließenden Fahrspiel. Klar frag ich mich im nachhinein ob es das richtige war mit Leuten mitzulaufen die die 5000m um die 14Minuten laufen oder die 800 unter 1:50min. Aber es ging, und es ging sogar sehr gut. 4x 3min/2min im Wechsel konnte ich gut mitlaufen. Das war er wohl, der Hochpunkt des Diagramms - dieses Fahrtspiel. Und all diese Tempoeinheiten waren in Dauerläufe gepackt die nie über 4:25min im Schnitt waren. In der Gruppe verliert man leicht das Tempogefühl.

Als ich dann wieder zu Hause war, hatte der Hochmut natürlich schon überhand genommen. Ich trainierte ohne Pause weiter, hatte die Baden-Württembergischen Crosslaufmeisterschaften schon vor Augen. Der Schnitt sank nicht unter 100 Kilometer. Über meine Form konnte ich nicht viel sagen. Ich hatte sie aber im Vergleich zum November ausgebaut. 8x1000m im Schnitt in etwa 3:22min stehen da 2 Wochen vor den Meisterschaften. Ich denke, dass ich vielleicht zu diesem Zeitpunkt eine tiefe 34er Zeit auf die 10km in den Beinen gehabt habe, aber ich trainierte lieber auf den Cross Anfang Februar. Es folgten wieder Phasen die mich in die Knie zwangen. Ich musste Tempoläufe vor Erschöpfung abbrechen. Konnte Dauerläufe nicht mehr durchhalten. Ich wollte jetzt nicht pausieren. Jetzt wo die Form doch so gut war. Dauerläufe von maximal 45 Minuten waren noch drin - nur noch bis zu den Meisterschaften. Am Mittwoch vor den Crossmeisterschaften schaffte ich noch 3x1000m in 3:30min bis 3:27min, war unfähig mehr zu geben. Alles dahin, alles weg. Wo war sie die neue Form, die neuen Ziele? So trat ich an diesem Samstag an und wurde 14.. Lief die 4,8 Kilometer in 16:18min. Nicht mal beim Warmlaufen konnte ich schnell laufen, stoppte nach 5min und dehnte mich. Ich hatte mich noch nicht aufgegeben. Konnte die erste Hälfte um den 6. Platz mitlaufen, brach dann aber schmerzhaft weg. 

Ich sah nicht ein, dass das das Ende war ich wollte wieder Form gewinnen, trainierte schon am nächsten Tag wieder. Mit Wut im Bauch ein 17km Dauerlauf. Am folgenden Mittwoch dann das endgültige Ende. Ich absolvierte Bahnläufe. 1200m/1600m/2000m/1200m/800m. Kein Lauf schneller als 3:35min/km im Schnitt. Am nächsten Tag lag ich mit 40°C Fieber und Grippe im Bett. Mein Körper war am Ende, ich war am Ende, die Saison war für mich am Ende. Ich raffte mich nach 3,5 Wochen Pause zwar wieder auf, konnte auch wieder 4 Wochen am Stück trainieren und tauchte auch bei 2 Volksläufen auf, fiel dann aber wieder mit einer Seitenstrangangina aus. Diese wiederholte sich noch 2 Mal. Hinzu kam die Verletzung am rechten Fuß. So viele Krankheiten und Verletzungen habe ich hinnehmen müssen um für diese Saisonvorbereitung  bezahlen zu müssen. Es tut weh, feststellen zu müssen, dass diese 5 Monate intensiver Vorbereitung, diese 5 Monate Aufopferung für die Saison für die Katz waren. Das hat mich psychisch ziemlich angefressen.

Ganz ohne Zweifel war das meine bisher härteste Saison. Sowohl physisch als auch psychisch. Nicht laufen zu können ist viel schlimmer als nur langsam laufen zu können. Mit diesem Bericht möchte ich einen neuen Abschnitt in meinem Athletenleben beginnen. Ich habe gelernt und eingesehen, dass der Körper, dass mein Körper in erster Linie Kontrolle braucht. Kontinuierlichen Formaufbau , viel Regeneration, langsame Dauerläufe. Ich will die nächste Saison mit einem Trainingsplan in Angriff nehmen der mich vor einer Wiederholung dieser Saison bewahrt.  Die Form sollte langsam aber sicher ansteigen. Das wünsch ich mir, das wünsch ich der Bundesrepublik Deutschland.

Nach der Saison ist vor der Saison

Anmerkung: Ich möchte klarstellen, dass meinen Trainer an dieser Saison keinerlei Schuld trifft, da ich immer der Meinung war auch ohne Trainingsplan trainieren zu können.

Stefan Faiß (06.08.2003)