Warum völliger Entzug die beste Motivation ist!
Da ich mich gerade in der Mitte meiner Saisonpause befinde und es kaum noch
erwarten kann, wieder ins Freie zu stürmen, wieder durch die Wälder und Wiesen
zu rennen, brauche ich keine Motivationshilfe, keinen Antrieb, der mich beflügelt.
Ich will neue Ziele und neue Zeiten erreichen. Ich spüre, dass ich mich
verbessern kann. Und dieses Hochgefühl, diese Lust zu laufen, kannte ich während
der Saison nicht in dieser Stärke. Deshalb
will ich versuchen, diesem Geheimnis der funktionellen Hochmotivation auf die Schliche zu kommen.
Hierzu will ich zu Beginn vielleicht einen kurzen
Einblick in mein Tun während der Saisonpause geben: Na ja, das ist ja
eigentlich ein Widerspruch wenn man von Pause spricht, aber so richtig mache ich
ja auch nichts. Ich bin keiner, der viel von
Alternativtraining in dieser Zeit hält. Ich muss in dieser Zeit, nicht wie
andere, hin und wieder einen lockeren Dauerlauf einstreuen, um vielleicht noch
ein bisschen meiner Form der letzten Saison in die Neue zu retten. Ich bevorzuge
die Variante der völligen Regeneration, der völligen Erholung von Muskeln und
dem Bewegungsapparat, ja auch des Kopfes. Ich bevorzuge die Option des Nichtstuns,
manchmal auch apathisch. Dazu ist meiner Meinung und auch meiner
Erfahrung nach kein Sport nötig. Der Körper erfährt bei mir in dieser Zeit
keine Belastung von sportlicher Seite. Gut, ich bin in diesen 3 Wochen 2 oder 3
mal locker Rad gefahren, bin 2 mal "freiwillig zum Schwimmen mitgegangen
worden", kann
aber trotzdem nicht sagen, dass es mir - außer vielleicht ein wenig Muskelkater
- schlecht bekommen ist. Aber das hat mit der Saisonpause im eigentlichen Sinne
auch nichts zu tun, denn mein Leben ist ja nicht das Laufen. Ich richte mich
nicht immer unbedingt nach dem, was vernünftig wäre, sondern ich würde mich
vielmehr als Lust- und Genussläufer bezeichnen und lasse mich oft von meinem
Gefühl leiten. Und wenn ich schwimmen gehe, oder Rad fahre hat das nicht
unbedingt was mit regenerativer Trainingsmaßnahme zu tun, das mach ich dann,
weil ich das gern tue. Und mein Gefühl verlangt 3 oder 4 Wochen Lauffreiheit,
oder ist das doch eher der Verstand, der das für besser hält?
Muss ja wohl der Verstand sein, denn wenn ich nach meinem Gefühl gehen würde, wäre ich jetzt nicht hier, sondern irgendwo mit Laufschuhen an den Füssen in der Natur - laufend - wie ich es will. Und dabei wäre mir auch das Wetter egal. Regen, Kälte - ich weiß, dass es laufend regnet... ich sehe es im Moment, aber es würde mich nicht stören, denn unter lauter Glücklichen läuft es sich leichter. Die Pflanzen und Bäume freuen sich, wieso nicht der Mensch, der Läufer?
Doch wieso ist Entzug jetzt eigentlich die beste Motivation? Im Grunde ist das
eine ganz natürliche Reaktion des Körpers und der Psyche des Menschen, oder
der Lebewesen überhaupt. Bist du nämlich von etwas/von jemandem längere Zeit
getrennt, wird das Verlangen nach der Sache/der Person immer größer, denn wer
will schon für längere Zeit von jemandem getrennt sein, den er am liebsten
jeden Tag sehen möchte? Und hier gibt es deutliche Parallelen zum Laufen, denn
nach langer Zeit ohne diesen Ausgleich, wird das Verlangen immer größer. Und
je länger die Entzugsdauer, desto stärker will man es wieder tun. Wir können
also daraus schließen, dass man sich die größte Motivation durch eine lange
Enthaltsamkeitsdauer holt. Doch wie lang ist nicht "zu lang"? Wie lang
ist womöglich "zu kurz"? Hierzu können wir wieder ein Beispiel
heranziehen. Nehmen wir hierzu den Alkoholentzug als Gegenpart, denn im
Gegensatz zu den vorangegangenen Beispielen wird hier versucht, eine schlechte
Angewohnheit abzugewöhnen. Sprich, der oder diejenige wird so lange von ihrem
Suchtmittel
abgeschottet, bis sie oder er kein Verlangen mehr danach verspürt. Und wenn es
soweit ist, dann ist das Ziel erreicht. Beim Laufen hingegen wäre es dann
verfehlt - Sprich, die Entzugsdauer wäre dann zu lang gewesen. Was ich damit sagen
will ist, dass diese Motivationsmethode nicht beliebig lange ausgedehnt werden
kann. Ich denke, dass jeder den Punkt finden kann an dem das Verlangen am größten
ist, indem er es - in wie so vielen Dingen - selbst ausprobiert. Nach jeder
Saison ein paar Tage mehr, so lange bis man fühlt, das Limit erreicht zu haben.
Natürlich darf in dieser Zeit kein Laufen praktiziert werden - weder langsam,
noch schnell. Man sollte nicht rückfällig werden, sollte es voll durchziehen,
das Ergebnis wird einen entlohnen! Und wenn es am Ende 6 Wochen sind, wenn man
sein Verlangen kaum noch bremsen kann - was soll's? Das Jahr hat 56 Wochen. Zeit
ist genug vorhanden, Motivation nicht immer.
Und deshalb bin ich der Meinung, dass die Saisonpause nicht nur der Erholung
dienen sollte. Vielmehr sollte sie als Antriebsquelle für die neue Trainings-
und Wettkampfsperiode gelten - Sprich, sie soll wieder Lust aufs Laufen
machen, psychisch wie auch physisch. Und in dieser Hinsicht sind mir sämtliche
Trainingslehren so was von egal, denn in diesen geht es einzig und allein um den
körperlichen Zustand. Ich hingegen halte den Gesichtspunkt der psychischen
Regeneration für mindestens genauso wichtig und deshalb werde ich auch in den
kommenden Saisonpausen nichts ändern. Ich habe sehr gute Erfahrungen damit
gemacht und deshalb werde ich auch weiterhin, wie im Moment, dem Scheitelpunkt
der Motivationskurve
"entgegenpausieren", so dass ich mit dem größten Elan, der größtmöglichen
Motivation die neue Saison in Angriff nehmen kann - nicht nur körperlich
erholt.
Anhang
Meine Motivationshilfen während der Saison:
- vor einem Lauf eine meiner Kolumnen lesen
- Bestenlisten studieren
- Leichtathletikevents im Fernsehen anschauen oder live verfolgen
- sich mit jemandem zum Laufen verabreden
Link auf laufen-aktuell.de
Vielen Dank auch an meine neue Korrekturleserin Catharina !
Stefan Faiß (23.09.2002)