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La course de France - Lauf durch Frankreich

 

Was ist das für ein Spektakel wenn jedes Jahr im Sommer, etwas mehr als 100 Radfahrer durch Frankreich kurbeln. Millionen von Menschen verfolgen, am Fernsehen oder vor Ort, wie sich die Besten der Besten auf dem Fahrrad duellieren. Der Radsport wäre ohne die Frankreichrundfahrt nur halb so populär wie mit ihr. Die Zeitungen schreiben Saiteweise über Geschehnisse, Hintergrundinformationen und vieles mehr. Sendezeiten von bis zu fünf Stunden täglich lassen keine Handlung unbeobachtet. Es ist ein Spektakel, dass sich Sponsoren auf keinen Fall entgehen lassen dürfen. Es ist die Tour de France.

Eine selbige "Rundfahrt" zu Fuß würde vielleicht auch die Leichtathletik, speziell die Laufstrecken, wieder populärer machen. Nicht allein die Jagd nach Rekorden und Titeln auf der einseitigen Rundbahn machen diesen Sport noch interessanter. Ein Meetingsterben ist die Folge.  Es müssen neue Wettkämpfe her. Wettkämpfe die jeden in ihren Bann ziehen. Natürlich boomt der Breitenlaufsport, speziell auf der Marathondistanz. Doch Läufer und Läuferinnen die damit ihre Brötchen verdienen erreichen noch nicht das Interesse, wie es zum Beispiel ein Jan Ullrich auf sich zieht. Großes Medienpräsenz ist die Folge, was wiederum hoch dotierte Werbeverträge mit sich bringt. 

Doch wie sähe so ein Laufereignis aus. Ich will versuchen ein wenig Appetit darauf zu machen. 

Es müssen keine extrem langen Etappen sein. 3 bis 20 Kilometer auf allen Terrains des Laufsports verteilt. (Straße, Berg, Bahn. Cross...) Eine Dauer von 10 bis 14 Tagen mit 2 Ruhetagen wäre vielleicht eine geeignete Zeitspanne. Genommen wird wie beim Radsport die Gesamtzeit aller Etappen. Trikots entsprechen ebenfalls denen der wahren Tour de France. Führen wir uns einmal ein solches Spektakel vor Augen.

Aufregung und Anspannung herrscht vor der ersten Etappe. Es könnte nicht schöner sein. Strahlend blauer Himmel, angenehmer Sonnenschein der die Temperatur nicht über 25°C steigen lässt. Trainer, Teambetreuer laufen kreuz und quer im Startbereich umher. Die Mannschaftsbusse haben sich schon am vorigen Tag in einem Halbkreis in Startnähe formiert. Ein paar Athleten laufen sich, auf vor den Bussen aufgestellten Laufbändern, warm. Läufer aus allen Teilen dieser Welt haben sich in verschiedenen Teams zusammengefunden. Banesto, Rabobank, Kelme. Wie im Radsport. Auch das Team Telekom ist am Start. Gemeinsam kommen die in Magenta gekleideten Läufer vom Warmlaufen zurück. Dieter Baumann, Wolfram Müller, Sebastian Hallmann und Nils Schumann als Sprintstar bilden den Kern dieser Mannschaft. Ein paar junge Athleten befinden sich schon auf dem Weg zum Starthäuschen. Sie sollen in 2 oder 3 Jahren ihre Chance erhalten. In diesen Tagen sind es die" Hasen" und "Wasserträger" der Stars. Haile Gebreslassie der kleine Äthiopier scherzt noch mit ein paar Landsleuten. Er gehört als Weltrekordler und Olympiasieger über 10000m zu den Favoriten. Doch es wird nicht leicht werden. Die Kenianer, Marokkaner und auch die Südeuropäer rechnen sich Chancen aus.

Der Prolog: Die erste Standortbestimmung. Es sind zwar "nur" 3 km zu absolvieren, aber wer hier vorne dabei sein will muss die gnadenlose Härte der Übersäuerung erfahren. Zuerst die Schwächeren, dann die Favoriten. Olympiasieger, Weltmeister, alles Titel die diese Männer schon erlaufen konnten. Doch der Sieger bei dieses "Rundlaufes" kann sich wirklich "der beste Läufer der Welt" nennen. In Abständen von 30 Sekunden werden sie auf den Straßenkurs geschickt. Fernsehteams haben jeden Winkel der Strecke ins Visier genommen. Der Zuschauer am Fernseher ist mitten drin. Fans und Schaulustige drängen sich an den Absperrungen. Es herrscht eine tolle Stimmung. Die Mittelstreckler sehen ihre Chance. Hier müssen sie Zeit herauslaufen. Im Gegensatz dazu, lassen es die Marathonläufer langsamer angehen. Ihre Stunde wir schlagen wenn es auf die letzten Etappen zugeht. Dann, wenn die anderen nichts mehr zuzusetzen haben. 7:38 min stehen am Ende für den Sieger zu Buche . Ein unbekannter Kenianer aus einem holländischen Team. Wenn der sich mal nicht überschätzt hat. Die Routinierten wissen was noch kommt.

In den nächsten Tagen werden längere Teilstrecken zurückgelegt. Die Favoriten halten sich noch zurück. Gebreslassie, Paul Tergat 6-maliger Crossweltmeister aus Kenia, Hicham El Guerrouj, Weltrekordler über 1500m und auch Dieter Baumann rollen im Feld mit. Alle wollen sie nicht unnötig Kraft verschwenden. Nach dem Prolog  haben sie sich unter den ersten 15 platziert. Baumann liegt nach diesem überraschend auf dem 5. Rang. Es wird sich zeigen was die Berge und Zeitläufe bringen werden.  Sie gelten als Schlüsselstellen des Laufes.  Auf den ersten Etappen erreicht das Feld meist geschlossen das Ziel. Gelegenheit für die Spurtstärksten ein Etappensieg für ihr Team zu erringen. Nils Schumann und der Schweizer André Bucher sind  die Hauptakteure der ersten  Zielankünfte.

Wiese, Straße oder auch Splittwege ebnen den Untergrund der Läufer. Oft probieren es junge Läufer schon frühzeitig eine Entscheidung zu ihren Gunsten zu erzielen. Wie die wilden legen sie mit einem Zwischenspurt ein paar Meter zwischen sich und das Feld. Doch die Teams,der im Gesamtklassement Führenden, ziehen erbarmungslos hinterher. Hier wird kein Sieg verschenkt. Taktik, Tempoausdauer sind entscheidende Komponenten für einen Ausreiseerfolg.

Wir schreiben den 6. Tag. Es gab kaum Positionsverschiebungen nach dem Prolog. Doch nun steht ein Berglauf an. 15km mit einem Höhenunterschied von 1500m erheben sich vor den Athleten. Am Start wird schon klar, wer heute seine Chance sucht. Die kleinen. leichten Laufflöhe postieren sich ungeduldig an vorderster Front. Heute schlägt ihre Stunde. Während die großgewachsenen, eher auf den Mittelstrecken beheimateten, Läufer sich am Ende des Feldes herumquälen werden,  scheinen die Leichtgewichte um Gebreslassie die Serpentinen fast hinaufzufliegen. Heiß ist es heute. Die Trikots der Läufer sind mit Schweiß gesättigt. Die Haut ist von einer Wasserschicht überzogen. Heute gibt es keine Zurückhaltung mehr. Jetzt werden die Karten aufgedeckt. Auf den von  fanatischen Zuschauern getränkten Straßen hinauf zum Gipfel können sich 3 Favoriten und 2 in der Gesamtwertung abgeschlagene Absetzen. Neben Baumann, Gebreslassie und Tergat können noch die Bergspezialisten Alberto Garcia (SPA) und der Portugiese Antonio Pinto folgen. Doch spätestens nach einer Tempoverschärfung von Tergat trennt sich die Spreu vom Weizen. Mit verkrampftem Schritt, der eine Übersäuerung erahnen lässt, spurten sie dem Ziel entgegen. Tosende Fans aus aller Welt peitschen ihre Lieblinge nach vorne. Das ist Laufsport von seiner attraktivsten Seite. Tergat gewinnt diese Etappe mit knappem Vorsprung. Er übernimmt in der Gesamtwertung Platz 2 hinter Gebresslassie und vor dem starken Baumann. Die anderen Deutschen müssen viel Zeit lassen. Zu stark ist das internationale Feld. Ausgepumpt wie alle Läufer taumeln auch sie ins Ziel. Diese Etappe fordert einen Ruhetag. Zeit für die Läufer sich zu erholen und Interviews zu geben. Die Masseure werden viel zu tun haben.

Nach weiteren Berg- und Flachetappen steht am vorletzten Tag noch ein Zeitlauf auf der Bahn über  5000m auf dem Programm. Im Gegensatz zum Prolog starten jetzt alle zusammen. Aus Gründen der Feldstärke werden 4 Rennen veranschlagt. Das letzte Rennen soll die Entscheidung über den Gesamtsieg bringen. Nachdem die ersten Runden relativ langsam angegangen werden - zu stark haben die letzten Tage den Läufern Kraft geraubt - kann sich der Führende Äthiopier deutlich von seinen Verfolgern absetzen. Der Sieg ist im sicher. Baumann kann seinen 3. Platz halten. Ein großer Erfolg für das Team Telekom. Es gab natürlich keinen Weltrekord, aber es war auch keine Zeitjagd. Nein, heute mussten Zeitrückstande aufgeholt und verteidigt werden. Ein erbarmungsloser und harter Kampf. Die auf den 5000m eher schwächer einzuschätzenden Marathonläufer, können überraschend weit vorne mitlaufen. Jetzt machen sich die  vielen Kilometerumfänge bemerkbar die sie den anderen Im Training voraus haben. Jeder gibt noch einmal sein letztes, denn am nächsten Tag  gibt es nur noch ein Schaulaufen nach Paris. Die Beine der Läufer müssen sich wie Blei anfühlen. Im Vergleich mit den Radprofis gibt es was die Intensität und Anstrengung der vielen Etappen angeht keinen Unterschied.

Aus, vorbei. Die Qualen haben ein Ende. Mit einem großen Empfang auf der Champse Elysée werden die Läufer von  Hunderthausenden Zuschauern empfangen. Ein herrliches Bild. Nie zuvor war eine Leichtathletikveranstaltung so gefeiert worden. Fernsehmotorräder haben  jede Etappe, jeden Schweißtropfen zu Millionen Menschen nach Hause gebracht. Auch jetzt, als die Sieger geehrt werden sind Kameras dabei. Das muss die Zukunft sein. Mehrere Rennen aneinander gereiht. Alle Stars zusammen in einem Lauf. Mehr Attraktivität kann es nicht geben. Auf den Straßenabschnitten eine Stimmung wie beim Berlin Marathon und bei den Zeitläufen eine Atmosphäre wie im Züricher Letzigrund. Der Radsport hat es vorgemacht. Es muss nur nachgezogen werden. Und wer weiß, ob dann, in ein paar Jahren, der Sieger nicht Wolfram Müller heißt. Dann wenn Haile Gebreslassie zu Hause in seinem Schaukelstuhl sitzt, und durch den Fernseher nach Frankreich schaut. 

 

Anmerkung: Ein selbiges Ereignis bei Frauen wäre sicher nicht weniger interessant. Hier hat der Laufsport dem Radsport etwas voraus.

 

Stefan Faiß (07.03.02)