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Cross - die Ellenbogen laufen mit

Es ist kühl. Ein leichter Wind lässt die rot-weißen Absperrungsbänder im Wind tanzen. Sie haben das Unigelände in einen Crossparcours verwandelt. Ein paar Bäume, die sich in einer Gruppe versammelt haben, spiegeln das empfinden der Läufer vor dem Start wieder. Kahl und jedem Angriff von außen hilflos ausgeliefert, recken sie ihre Äste gen Himmel. Sie strahlen Kälte. Kälte die hier jeder verspürt. Ein paar Wolken versuchen, die wärmende Sonne  vor den vielen laufbegeisterten Menschen zu verstecken. Sie sind alle gekommen um Teil zu haben an diesem spannenden Laufspektakel. Als Zuschauer, Teilnehmer, Kampfrichter und Organisatoren. Alle tragen sie einen Teil dazu zu diesem Spektakel bei. Denn ein Crosslauf ist immer ein Ereignis besonderer Art. Für die Läufer, wie auch für die Zuschauer.

Wie  Gladiatoren haben sich die Athleten am Start aufgebaut. Ungeduldig warten sie auf den Start. Was haben sie schon vor dem lauf gelitten. Aufregung, Ungewissheit und Nervosität haben an den strapazierten Nerven der Jungs gekratzt. Verständlich, dass sie jetzt erlöst werden wollen.  

Nur die Härtesten wagen es in diesen winterlichen Tagen mit ganz kurzem Kampfanzug  anzutreten .Viele versuchen durch ein Langarm Shirt wenigstens den Oberkörper zu wärmen. Die Beine sollen frei von jeder Behinderung sein. Denn auch die kurze Hose macht dem Körper klar, dass es kein Trainingslauf ist.  Springend oder Zusammengekauert versuchen sie, der Kälte zu trotzen. Die innerliche Wärme, die während des Einlaufens  gekommen war, scheint sich in Kälte gewandelt zu haben. Auf den Armen und Beinen macht sich bei manchen eine leichte Gänzehaut erkennbar. Nicht nur wegen der Kälte. Der Blick der Läufer zielt auf die von Sand gesäumte "Startbahn". An ihr schließt sich eine Wiese. In sie werden sie eintauchen. Kein rettendes Ufer, wie in dem einen oder anderen Abenteuerroman. Nein, Schmerzen, Erschöpfung wird die grüne Fläche mit sich bringen. Obwohl sie so unscheinbar erscheint. 

Am Rand des Startbereichs haben sich Zuschauer und Trainer versammelt. In dicke Jacken gehüllt, warten sie gespannt auf den Startschuss. Wie gerne möchte man jetzt mit ihnen tauschen. Am Rand stehen, zuschauen wie sich die anderen quälen. Noch einmal schreien die Trainer letzte Anweißungen ins Feld. Ihnen ist die Anspannung anzusehen. Ungeduldig blicken sie auf die Uhr. Wann geht es endlich los?

Rücksicht, Freundlichkeit sind am Start fehl am Platz. Nach dem Rennen werden sich viele wieder in den Armen liegen. Aber in diesem Moment drückt die Anspannung zu sehr auf die Stimmung. Nicht der Zurückhaltende gewinnt hier. Kämpfer sind gefragt. Läufer die ein hohes Tempo  bei diesen Bedingungen lange durchstehen. Und wer dies am längsten kann wird gewinnen. Hier wird nicht auf Zeit gelaufen. Taktik spielt nur eine untergeordnete Rolle. Alles oder nichts. Durchhalten oder Eingehen. Eine Entscheidung die im Rennen fallen wird.

Noch einmal gehen einem die Worte des Trainers durch den Kopf. "Am Start gut wegkommen. Setz deine Ellenbogen ruhig ein. Das ist bei Crossrennen normal." Anweißungen die fast alle Läufer erhalten haben. Denn zu gut wissen die Trainer und Läufer, dass ohne körperlichen Einsatz am Start nichts zu erreichen ist.  Nicht bei Crossrennen. Gebrochene Nasen, blaue Flecken oder Kratzer der gegnerischen Spikes sind nicht selten Zeugen des harten Einsatzes. Meist sind die Felder mit mehr als 50 Wettkämpfern /-innen bestückt. Schnelle Beine und Durchsetzungsvermögen werden Ausschlag darüber geben, ob man durchgereicht wird, oder ob man vorne dabei ist. Keiner wird sich mit dem Ersteren abfinden wollen.  

Es geht los. Ein Spektakel besonderer Art. Wie jedes Mal muss der Starter seine Stimmbänder voll ausreizen, um die Meute hinter die Startlinie zu bekommen. Wie eine Horde Rinder müssen sie zurückgetrieben werden. Der Verstand schient ausgeschaltet. Wie ein Stummfilm spielen sich die letzten Szenen vor dem Startschuss ab. "Peng". Wie aus dem Schlaf gerissen spurtet man los. Der Moment der Entscheidung ist gekommen

Wie nach einer Explosion schießen die Läufer los. Aus der gebeugten Startposition ist ein Sprint geworden. Man muss schon das Maximum abrufen, will man vorne dabei sein. Wie bei einem Moto-Cross Rennen fliegen "Dreckbollen" und Sandschwaden durch die Luft. Die Ellenbogen einzelner Läufer dienen als Wegbereiter. Wo die Trikots vor dem Start noch wie neu erschienen sind, schreien sie nach den ersten Metern schon wieder nach einer Wäsche. Der Sand ist in Matsch übergegangen. Wie Blutekel kleben die Schlammstücke auf dem Stoff.  Das Wort "Rücksicht" scheint diesen Athleten fremd zu sein. 

Dicht gedrängt geht es nach der ersten Kurve auf die Rundstrecke. Wie eine Fräse schiebt sich das Feld durch den Parcours. Wo vorher noch schmutziger Rasen war, bietet sich hinter den Läufern nichts mehr, was auch nur Ähnlichkeit mit dieser grünen Pflanzenart hätte. Ein Kartoffelacker bleibt zurück. Der Bauer würde daran seine helle Freude haben. Kein Pflug würde das besser hinbekommen. Die langen Spikes an den Schuhen der Läufer wirken wie ein Fräser. Der Boden ist das Metall.

Wie eine Klebemasse versucht der tiefe Boden alles festzuhalten was auf ihn eintritt. Immer schwerer fällt es, die Füße  aus dem braunen Schlund zu ziehen. Die  langen Nägel greifen jetzt vergeblich nach Halt. Zu viel Erde hat sich an ihnen festgesetzt. Jetzt hat jeder die gleichen Vorraussetzungen. Die Größe der Nägel spielt keine Rolle mehr.

Auf der Strecke ist Orientierung so gut wie unmöglich. Alle sehen gleich aus. Man ist viel mehr damit beschäftigt einen sicheren Tritt zu erwischen. Hier wird nicht abgewartet, im Windschatten gelaufen. Immer am Anschlag, lautet die Devise. "Weiter, weiter" schießt es einem durch den Kopf. Wo man sich bei Bahnwettkämpfen noch viele Gedanken gemacht hat, läuft es beim Crosslauf eher nach dem Motto ab "Augen zu und durch". Kein Nachteil, denn der Kopf läuft mit.

Giftige Steigungen, an denen die Läufer viel Kraft lassen müssen, stellen sich in den Weg. Wer ohne Schwung an diese heranläuft kann viel Zeit verlieren. Die Besten versuchen bei diesen Rhythmuswechseln das Tempo zu verschärfen. Noch einmal zu verschärfen. Verkrampfte, nach Erholung schreiende Gesichter, verraten die Anstrengung. Koordinatives Laufen, wie es auf der Bahn üblich ist, bleibt dem Zuschauer verborgen. Hauptsache schnell, schneller als die anderen. Ein Bein vor das andere. rein in den Matsch, raus aus dem Matsch. Die vielen Zuschauer erleichtern diese Prozedur. Schreiend tragen sie die Läufer auf einer Woge der Begeisterung  durch die Runden. Ohne sie würden einige aussteigen. Aber Zuschauer wollen einen kämpfen sehen. Einen Ausstieg aus dem Lauf würde nicht jeder Zaungast verstehen. Wie an ein Gummiband gebunden wird man vom Ziel angezogen. Ein loslassen ist nicht möglich.

Ein letztes Mal die Frequenz der , mit Dreck bespritzten Beine, erhöhen. Die in braun getauchten Spikes suchen noch einmal letzten Halt. Gleich ist es vorbei. Die Schmerzen scheinen schon die Grenze des fühlbaren überschritten zu haben. Der Wille treibt einen ins Ziel. Das Gummiband ist nicht mehr spürbar. Es ist geschafft.

Setzten, liegen. Trotz aller Aufforderungen der Betreuer, weiter zu gehen,  werfen sich die ausgepumpten Finisher im Zielbereich auf den Boden. Decken und Getränke machen die Runde. Eine Erkältung will sich jetzt keiner holen. Der Geruch von Tee und Schweiß sorgt für die typische Zielatmosphäre. Es gibt keinen der nicht froh ist endlich im Ziel zu sein. Die einen glücklich die anderen enttäuscht. Jetzt möchte man nicht mit den zuschauern tauschen, denn jetzt überwiegt die Zufriedenheit. Man hat etwas vollbracht. Etwas vollbracht, dass einem von jedem der Zuschauer zumindest ein wenig Respekt entgegenbringt. 

Mit den Ergebnissen ist es wie bei einem Würfelspiel. Erst wird gewürfelt und im Ziel werden dann die Zahlen offenbart. Die Platzierung, die Zeit. Es ist immer wieder erstaunlich welche Läufer man hinter sich gelassen hat. Leute deren Bestzeit deutlich unter der eigenen liegt, haben auf einmal das Nachsehen gehabt. 

In einem halben Jahr wird man entspannt zurückblicken können. Wird sich das Rennen noch einmal vor Augen führen. Ohne Schmerzen, ohne Qualen. Aber dafür mit doppelt so viel Genugtuung. Man wird sagen:" War das ein tolles Erlebnis, ich kann es kaum noch erwarten bis es wieder so weit ist." Man wird es wieder tun. Wird sich wieder quälen. Nicht weil einem nach Schmerzen verlangt. Vielmehr der Unterschied, das Natürliche was diese Art von Lauf von anderen unterscheidet geben oft den  Ausschlag. Verbissene Kämpfe um jede Position.  Tempohärte, die man aus solchen Rennen gewinnt, ist nur eine Folge. Folge  eines Rennens, dass wie kein anderes die Ursprünge des Wettlaufes wiederspiegelt. Ohne Richtzeit, nur Mann gegen Mann (Frau gegen Frau).

Das Selbstvertrauen und den neuen Spaß am Laufen, den man bei solchen Läufen mitnimmt ist unersetzlich. Kein Bahn oder Straßenlauf besitz diese Eigenschaft. Denn im Cross kann sich jeder austoben.

Anmerkung: Eindrücke und Bilder sind von der Cross DM 2001

 

Stefan Faiß (12./13.03.2002)